In einer Präsentation auf dem C-MUS Kongress 2024 in Aalborg (Dänemark) stellten Katharina Holec, Laura Mark und Tobias Escher ausgewählte Empfehlungen für den Umgang mit Planungskonflikten im Kontext der Verkehrswende vor.
Diese Empfehlungen sind abgeleitet aus verschiedenen Forschungsergebnissen aus dem CIMT-Projekt. Sie stützen sich auf quantitative Daten aus Befragungen von mehr als 2.000 Personen und qualitative Daten aus mehr als 20 Interviews zu verschiedenen Mobilitätsplanungsprozessen in drei deutschen Städten, sowie eine quantitative Analyse der Beteiligungslandschaft in Deutschland auf Basis einer von uns aufgebauten umfangreichen Datenbank mit über 350 verkehrsbezogenen Beteiligungsverfahren.
Empfehlungen
Für die Präsentation wurden aus den bislang erarbeiteten Empfehlungen folgende zwei ausgewählt und zur Diskussion gestellt:
Es ist nicht die Aufgabe einer Konsultation, einen Konsens zu erzielen!
Dies wird abgeleitet aus der grundlegend konflikthaften Natur von Verkehrsplanung, die sich auch in unseren Daten zeigt und durch die untersuchten Beteiligungsformate nicht befriedigend aufgelöst werden konnte. Beispielsweise zeigten sich im Projekt freiRaum Ottensen trotz umfassender Beteiligung noch immer 21% der Teilnehmenden unzufrieden mit der erfolgten Entscheidung, und 74% der Bevölkerung hatte gar keine Kenntnis von der Möglichkeit, sich zu beteiligen. Das bedeutet, dass nicht Konfliktlösung der Anspruch sein sollte, sondern die Schaffung eines Forums zum Austausch und zur Ideengenerierung, und dass Beteiligung nicht an ihrem Grad der Konfliktlösung beurteilt werden sollten.
Die Ergebnisse der Konsultation müssen durch andere Perspektiven ergänzt werden, um zu einer ausgewogenen Entscheidung zu gelangen!
Beteiligungsergebnisse können ein Bild bestehender Anliegen vermitteln und sollten ernst genommen werden, allerdings spiegeln sie erstens aufgrund ihrer mangelnden Repräsentativität nicht die allgemeine Stimmung in der Bevölkerung wieder, und zweitens kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle wichtigen Aspekte für die Verkehrswende enthalten sind bzw. hauptsächlich unterstützende Beiträge eingebracht werden. Das bedeutet, dass Konsultationen durch andere Formen der Beteiligung ergänzt werden sollten. Beteiligungsergebnisse sollten mit anderen Perspektiven aus verschiedenen Akteurssphären ergänzt und abgewogen werden und können eine mutige politische Entscheidung nicht ersetzen.
Präsentation und Publikation
Wir arbeiten momentan an einer Aufbereitung dieser und weiterer empirisch fundierter Empfehlungen für den Einsatz von Beteiligung in der Verkehrswende. Diese Veröffentlichung wird hier nach Fertigstellung verlinkt. Die Präsentation kann hier heruntergeladen werden:
In diesem Beitrag im eNewsletter des Netzwerk Bürgerbeteiligung plädieren Tobias Escher, Katharina Holec und Laura Mark für einen realistischeren Blick auf die Rolle von Bürger*innenbeteiligung bei der Nachhaltigkeitstransformation. Anhand von vier Thesen erläutern Sie, dass die vielfach mit Beteiligung verbundene Hoffnung auf Konfliktlösung der Rolle von öffentlichen Konsultationen nicht gerecht wird, diese aber trotzdem unverzichtbar bei der politischen Gestaltung der Transformation sind.
Zusammenfassung
Der Beitrag stellt insgesamt vier Thesen auf, die jeweils mit Befunden aus der Forschung des CIMT-Projekts untermauert werden. Diese lauten im Einzelnen:
These 1: Bürger*innenbeteiligung kann zu einer Annäherung und zu gegenseitigem Verständnis führen, in der Regel aber nicht zu einem Konsens über grundlegende Interessenkonflikte.
These 2: Bürger*innenbeteiligung vermittelt ein Bild über existierende Interessen und Bedenken, aber keinen repräsentativen Eindruck der öffentlichen Meinung
These 3: Die Beteiligungsergebnisse garantieren keine Unterstützung nachhaltiger Transformationsmaßnahmen.
These 4: Bürger*innenbeteiligung ist eine Unterstützung, aber kein Ersatz für politische Entscheidungen.
Damit wird Bürger*innenbeteiligung aber nicht verzichtbar! Statt dessen kann gute Beteiligung unterstützen, indem sie informiert und so z. B. Widerstände abbaut, die vor allem auf Unwissenheit beruhen. Darüber hinaus nutzt sie das lokale Wissen, um Probleme zu erkennen und ggf. neue Ideen zu entwickeln. Schließlich bietet sie ein Forum, in dem Wünsche und Sorgen vorgebracht und Argumente ausgetauscht werden können. Das kann dazu führen, dass es weniger Protest gibt. Sie kann Konfliktlinien klarer herausarbeiten und dabei helfen die Ursachen für die Konflikte besser zu verstehen. Bürgerbeteiligung kann damit zum Umgang mit den der Transformation inhärenten Konflikten beitragen, aber wird sie in der Regel nicht auflösen. Bürgerbeteiligung bleibt nicht zuletzt demokratisch geboten, denn weitreichende Entscheidungen sollten durch die Bürger/innen mitgestaltet werden können.
Publikation
Escher, Tobias; Holec, Katharina; Mark, Laura (2024): Akzeptanz für Transformationsprojekte durch Bürgerbeteiligung? Ein Plädoyer für mehr Realismus. Hg. v. Stiftung Mitarbeit. Bonn (eNewsletter Netzwerk Bürgerbeteiligung, 02/2024). Online verfügbar hier.
In einem gemeinsamen Termin mit Vertreter*innen des Bezirksamts Altona (Hamburg) stellte die Forschungsgruppe am 7.12.2023 die Ergebnisse der Erhebungen im Zusammenhang mit dem Projekt freiRaum Ottensen vor. FreiRaum Ottensen war eins der fünf Projekte, in denen Befragungen und Interviews durchgeführt wurden. Der Fokus lag dabei auf den Konsultationsformaten, an denen die allgemeine Öffentlichkeit teilnehmen konnte. Nähere Informationen zum Projekt freiRaum Ottensen und den durchgeführten Beteiligungsformaten finden sich hier.
Ausgewählte Ergebnisse
Die Bevölkerung in Ottensen sieht größtenteils Verbesserungsbedarf beim Verkehr und steht der Verkehrswende insgesamt relativ positiv gegenüber.
Rund 50% der Bevölkerung hat vom Partizipationsverfahren zu freiRaum Ottensen gehört, ca. 16% haben teilgenommen. Im Vergleich mit anderen Verfahren sind das relativ hohe Werte, wobei trotz breiter und zielgruppenspezifischer Angebote die übliche Überrepräsentation von Personen mit Abitur, Männern und Personen älterer Jahrgänge festzustellen ist.
Die Diskussion in den Beteiligungsveranstaltungen wurde als konstruktiv und respektvoll wahrgenommen, dennoch wurden Konflikte und Lücken bei der Repräsentation aller Interessen wahrgenommen.
Der Policy-Prozess wurde in diesem Projekt vergleichsweise weit für die Bürger*innen geöffnet und die Beteiligung konnte das Planungsergebnis inhaltlich mitgestalten.
Für rund ein Drittel der Bevölkerung und für die Hälfte der Teilnehmenden hatte das Beteiligungsverfahren einen Einfluss auf die Zufriedenheit mit dem Bezirksamt. Allerdings war der Einfluss nicht immer positiv: Zum Beispiel war jede*r vierte Teilnehmer*in am Ende zufriedener mit dem Bezirksamt, aber genau so viele waren auch weniger zufrieden.
Zwei Drittel der Bevölkerung beurteilen die beschlossenen Maßnahmen positiv.
(Aussagen zur Bevölkerung beziehen sich in der Regel auf die Teilgruppe der Personen mit Abitur – siehe detaillierte Informationen zur Repräsentativität der Befragungen)
Präsentation zum Download
Eine aufbereitete Form der Ergebnispräsentation kann hier heruntergeladen werden:
In den Kommunen vor Ort wird sich mitentscheiden, ob die dringend benötigte Wende zur nachhaltigen Mobilität gelingt oder scheitert, da hier viele der dafür notwendigen Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Dabei lösen viele Maßnahmen, zum Beispiel zur Aufteilung von Straßenräumen oder auch Mobilitätsinnovationen wie E-Tretroller, vielerorts heftige Kontroversen aus. Nicht zuletzt deshalb fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Forschung für Nachhaltige Entwicklung (FONA) seit 2019 zwei Nachwuchsgruppen, die Pfade für eine kommunale Mobilitätswende erforschen.
Die Gruppe CIMT an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf konzentriert sich dabei vor allem auf die Rolle von Beteiligung (v.a. der Konsultation) von Bürger*innen, während die Gruppe MoveMe an der TU Dortmund und der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen ihren Fokus auf unterschiedliche Raumtypen (Stadt vs. Umland) legt und dabei insbesondere die Rolle (v.a. digitaler) Schlüsselinnovationen untersucht. Auf der gemeinsamen Abschlussveranstaltung am 26. April diesen Jahres haben beide Gruppen nun Ergebnisse aus Ihrer Arbeit präsentiert. Insgesamt nahmen an der dreistündigen Veranstaltung fast 100 Personen aus Verwaltung, Planung und Wissenschaft teil.
Ergebnisse
Den Auftakt bildete eine Keynote von Anne Klein-Hitpaß (Difu Berlin), in der sie vor allem auf die zahlreichen verwaltungsinternen Hindernisse für eine Mobilitätswende einging wie komplexe interne Verwaltungsstrukturen und durch Bundesrecht beschränke Regelungskompetenzen. Im Anschluss wurden einzelne Forschungsergebnisse im Rahmen von drei parallelen Sessions vertieft.
In Session 1 ging es auf Basis von drei verschiedenen quantitativen Befragungen darum, wie Bürger*innen zu Maßnahmen zur Neuaufteilung von Straßenraumstehen. Dabei wurde deutlich, dass es durchaus hohe Zustimmung und Mehrheiten für viele Maßnahmen gibt, auch für Push-Maßnahmen (z.B. Tempo 30 oder autofreie Innenstädte). Uwe Böhme berichtete, dass dabei für Hannover keine Stadt-Land-Unterschiede beobachtet werden konnten. Tobias Escher zeigte, dass vor allem Umwelteinstellungen und die Verkehrsmittelwahl ursächlich für die Einstellung zu solchen Umverteilungsmaßnahmen sind. Viktoria Allert kam zu dem Ergebnis, dass diese Einstellungen in der Folge allerdings eher selten zu konkretem Handeln für oder gegen Verkehrswendemaßnahmen führen. Eine wichtige Rolle kommt dabei der Identifikation mit einer Gruppe zu (z.B. Radfahrenden, oder auch der Nachbarschaft), die dann zu Handeln führt.
In Session 2 wurden Einschränkungen und Potentiale von Bürger*innenbeteiligung an der Verkehrswende in den Blick genommen. Zunächst einmal wurde festgehalten, dass die konsultative Beteiligung an der Mobilitätsplanung in vielen Kommunen noch nicht allgegenwärtig ist. Dort, wo sie eingesetzt wird, lässt sich durchaus ein Einfluss auf die finale Planungsentscheidung feststellen. Die Forschung von Laura Mark zeigt aber, dass es dafür eine wichtige Rolle spielt, dass die Teilnehmerschaft und deren Beiträge von den Entscheidungstragenden als repräsentativ bewertet werden. Katharina Holec konnte auf Basis von Befragungen zeigen, dass sich Partizipationsverfahren vor allem bei denjenigen positiv auf die Einstellung zur lokalen Demokratie auswirken, deren Präferenzen sich am Ende in der Entscheidung wiederfinden. Der Prozess selbst sorgt damit eher weniger für Akzeptanz, wenn die Maßnahmen grundsätzlich abgelehnt werden.
In der dritten Session stand die Rolle digitaler Innovationen für die Verkehrswende im Mittelpunkt. Dabei wurden zum einen Sharing Dienste untersucht. Fabian Nikscha und Jan Gödde zeigten beide, dass E-Scooter-Sharing vorwiegend vor jungen Männern genutzt wird und dass es aktiver Steuerung bedarf, um Sharing-Dienste insgesamt noch inklusiver zu gestalten. E-Scooter und Ridepooling bieten ein beträchtliches Potential nicht nur in der Stadt, sondern auch im Umland. Zum anderen konnte Nadezda Krasilnikova zeigen, dass mobile Arbeit (Home-Office) auch im suburbanen Raum zu nachhaltiger Mobilität beitragen kann. Dazu muss es aber noch stärker durch Kommunen und die Unternehmen selbst gefördert werden.
In der Abschlussdiskussion kamen Vertreter*innen aus drei Kommunen zu Wort, die in den letzten Jahren intensiv mit den beiden Nachwuchsgruppen kooperiert haben. Sie teilten mögliche Erfolgsfaktoren für die kommunale Verkehrswende aus ihrer Erfahrung in der Umsetzung vor Ort. So empfahl Bastian Hagmaier (Bereichsleitung Mobilität, Hansestadt Lüneburg) beispielsweise, sich bei Information zu und Partizipation an Mobilitätsmaßnahmen vor allem auf die bislang unentschiedenen Personen zu konzentrieren, da die Gegner*innen oder Befürworter*innen schon organisiert und gut vertreten seien. Johanna Grüne (Fachbereich Verkehrsentwicklung & -management, Region Hannover) hob vor allem die wichtige Rolle der Organisation von Mehrheiten in Politik und Verwaltung sowie von lokalen Netzwerken hervor, die in Stadt und Region gemeinsam an der Umsetzung der Verkehrswende arbeiten. Aus ihren Erfahrungen bei der Einführung eines E-Scooter-Sharings in Ronnenberg zog Janine Luschnat (Team Ökologie & Klimaschutz, Stadt Ronnenberg) nicht nur das Fazit, dass Verkehrsversuche sinnvoll sind, um Probleme zu erkennen und Akzeptanz zu gewinnen, sondern auch, dass die Verkehrswende im ländlichen Raum nicht grundsätzlich schwieriger umzusetzen sei, sondern nur anders.
Programm
Im Folgenden finden Sie einen Überblick über das detaillierte Programm. Die einzelnen Präsentationen können über die entsprechenden Links aufgerufen werden.
10:00 Uhr
Begrüßung und Vorstellung MoveMe & CIMT Dr. Lisa Ruhrort (Hochschule für Wirtschaft & Umwelt Nürtingen-Geislingen) Jun.-Prof. Dr. Tobias Escher (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf)
In diesem Artikel in der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen stellen Laura Mark, Julia Romberg und Tobias Escher ein Sprachmodell vor, mit dessen Hilfe Verkehrsmittel in Beteiligungsbeiträgen zuverlässig erkannt werden. Sie zeigen damit, dass überwachtes maschinelles Lernen die Auswertung von Beteiligungsbeiträgen mobilitätsbezogener Online-Beteiligungsverfahren sinnvoll unterstützen kann.
Zusammenfassung
Konsultationen sind ein wichtiger Bestandteil der Verkehrsplanung und können dazu beitragen, Wissen aus der Bevölkerung in den Planungsprozess zu integrieren. Insbesondere durch Onlineformate kommen allerdings oft große Mengen an Beiträgen zustande, deren gründliche Auswertung ressourcenintensiv ist. Mit dem Einsatz von KI wird die Hoffnung verbunden, diese zu unterstützen.
Das in diesem Artikel vorgestellte Sprachmodell beruht auf dem Konzept des überwachten maschinellen Lernens zur Textklassifikation. Dabei werden vortrainierte Modelle mithilfe kleinerer Datensätze nachtrainiert. So kann ein Modell an einen speziellen Anwendungsbereich, wie beispielsweise verkehrsplanerische Konsultationsprozesse, angepasst werden.
Hier wurde eine vortrainierte deutschsprachige Version des leistungsfähigen RoBERTa Sprachmodells als Ausgangspunkt genommen. Anhand eines Kategorisierungsschemas, das hauptsächlich nach erwähnten Verkehrsmitteln unterscheidet, wurden 1.700 Beiträge aus sieben verkehrsplanerischen Konsultationsprozessen manuell kodiert. Die so entstandenen Daten wurden zum Teil als Trainingsdaten zum Fine-Tuning des Sprachmodells und zum Teil zur Evaluation genutzt.
Ergebnisse
Insgesamt konnte gezeigt werden, dass sich bereits heute verfügbare Sprachmodelle eignen, um die Auswertung von Konsultationsprozessen in der Praxis zu unterstützen. Das hier entwickelte Sprachmodell zur Erkennung der Verkehrsmittel kann dabei als Basis für eine konkrete Anwendung dienen.
Das nachtrainierte RoBERTa-Sprachmodell ist sehr gut in der Lage, die passenden Verkehrsmittel zuzuordnen. Das von uns vorgestellte Modell kann zuverlässig immer deutlich über 90% der Beiträge korrekt den darin genannten Verkehrsmitteln zuordnen.
Für die Verfahren, auf deren Beiträgen das Modell trainiert worden war, konnten im Durchschnitt 97% der Kategorien korrekt zugeordnet werden (auf einem separaten Testset). Für Beiträge aus anderen verkehrsbezogenen Beteiligungsverfahren konnten mit einer Genauigkeit von 91 bis 94% weiterhin sehr zuverlässig die passenden Verkehrsmittel zugeordnet werden.
Die Leistung des Modells verschlechtert sich also kaum, wenn es auf bislang unbekannte Daten aus mobilitätsbezogenen Beteiligungsverfahren angewandt wird. Das bedeutet, dass eine manuelle Kodierung im Vorfeld zumindest bei ähnlich aufgestellten Beteiligungsverfahren entfallen kann, was den Aufwand deutlich reduziert.
Publikation
Mark, Laura; Romberg, Julia; Escher, Tobias (2024). KI zur Auswertung von Beteiligung? Das Potenzial von Sprachmodellen zur Erkennung von Verkehrsmitteln in Beteiligungsbeiträgen. In: Internationales Verkehrswesen 76 (1): 12-16. DOI: 10.24053/iv-2024-0003
In diesem Artikel in regierungsforschung.de, dem wissenschaftlichen Online-Magazin der NRW School of Governance, geht Tobias Escher der Frage nach, ob sich die Beteiligungsformate, die zur einer partizipativen Gestaltung der Nachhaltigkeitstransformation notwendig sind, auch ökologisch nachhaltig umsetzen lassen. Es wird also beleuchtet, wie sich der Anspruch an (ökologisch) nachhaltiges Regierungshandeln im demokratisch so wichtigen Bereich der öffentlichen politischen Mitbestimmung gewährleisten lässt.
Zusammenfassung
Die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft kann nur durch die Einbeziehung aller Stakeholder gelingen. Gleichzeitig erfordert nachhaltiges Regierungshandeln, dass auch diese Beteiligungsprozesse den Anforderungen an ebendiese Nachhaltigkeit genügen. Auf Basis einer systematischen Diskussion der Treibhausgasemissionen, die bei verschiedenen politischen Beteiligungsformaten anfallen, argumentiert dieser Beitrag, dass angesichts der funktionalen und normativen Bedeutung politischer Partizipation deren Ökobilanz regelmäßig nicht im Widerspruch zum Anspruch an nachhaltiges Regieren steht.
Ergebnisse
Bei der Durchführung von Beteiligungsformaten entstehen Treibhausgasemissionen durch notwendige Energie, die Mobilität der Teilnehmenden sowie gegebenenfalls deren Versorgung. Die Höhe der Emissionen hängt dabei entscheidend davon ab, ob die Formate in Präsenz oder digital durchgeführt werden (siehe Tabelle unten).
Für lokale Präsenzformate sind die Emissionen aus dem Betrieb des Veranstaltungsortes und der Mobilität vergleichsweise gering und betragen im betrachteten Szenario pro Person nur rund 2kg CO2-Äquivalente. Die Emissionen steigen um ein Vielfaches, sobald eine weitere Anreise (mit fossil betriebenen Verkehrsmitteln) notwendig ist – im zu Grunde liegenden Szenario um das zwölffache auf 24kg. Das entspricht in etwa den durchschnittlichen Emissionen aus einer Autofahrt von 100km Länge.
Im Gegensatz dazu entstehen durch Online-Beteiligungsformate nur sehr geringe Emissionen (im Szenario rund 0,3kg pro Person). Dennoch kann die Wahl der Beteiligungsformate sich nicht nur an deren kurzfristigen ökologischen Kosten orientieren, sondern muss auch normative Anforderung an Inklusion und Mitbestimmung berücksichtigen. Gerade digitale Beteiligungsformate stellen bedeutende Teilnahmehürden für ohnehin benachteiligte Bevölkerungsgruppen dar (siehe dazu auch unser DigiBeSt-Gutachten).
Insgesamt hat Beteiligung also zwar einen ökologischen Fußabdruck, dieser ist aber in aller Regel aus funktionalen und normativen Erwägungen gerechtfertigt. Regieren soll eben nicht nur nachhaltig, sondern vor allem demokratisch sein!
Präsenzbeteiligung
digitale Beteiligung
lokal
(über)-regional
asynchron
synchron
Energie & Klima
Heizung & Klimatisierung Veranstaltungsort
Betrieb Endgeräte & Rechen-zentren
daten-intensivere Kommu-nikation
Mobilität
Anreise mit Verkehrs-mitteln
Anreise mit Verkehrs-mitteln
entfällt
Versorgung Teilnehmende
Catering
Über-nachtung
entfällt
Direkte Umweltfolgen verschiedener Beteiligungsformate. Je dunkler die Farbe, desto größer sind die jeweiligen Emissionen aus dieser Quelle. Die Emissionen steigen grundsätzlich mit Anzahl der Teilnehmenden sowie Dauer des Beteiligungsformats.
In diesem Artikel in der Zeitschrift Raumforschung und Raumordnung stellen Laura Mark, Katharina Holec und Tobias Escher die Ergebnisse einer Erhebung zu Umfang und Ausgestaltung von Konsultation bei kommunaler Planung mit Mobilitätsbezug vor. Aus diesen Ergebnissen lassen sich Aussagen über die Beteiligungslandschaft in Deutschland ableiten.
Die Ergebnisse wurden im Juni 2023in einer früheren Fassung auf der 18. Jahrestagung des Arbeitskreises Mobilität und Verkehr (AK MoVe) vorgestellt.
Zusammenfassung
Kommunen als wesentliche Akteure der Verkehrswende nutzen bei der Planung verstärkt konsultative Öffentlichkeitsbeteiligung. Bislang ist jedoch unklar, in welchem Ausmaß sie Beteiligungsverfahren bei der mobilitätsbezogenen Planung einsetzen und wie diese gestaltet werden. Im Hinblick auf die Herausforderungen der Verkehrswende ist eine solche Bestandsaufnahme aber höchst relevant, um die praktische Bedeutung von Partizipationsverfahren abzuschätzen und die Rolle verschiedener Verfahrenstypen und -kontexte besser untersuchen zu können.
Die Erhebung schließt diese Lücke auf Basis einer Auswertung der konsultativen, diskursiven Beteiligungsangebote für mobilitätsbezogene Planungen deutscher Städte seit 2015. Untersucht wurden Städte mit Leitlinien für Bürgerbeteiligung, die mit einer Zufallsauswahl aus ‘typischen‘ Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Sachsen sowie den drei deutschen Stadtstaaten verglichen wurden.
Auf Basis dieser rund 180 Städte und 350 Verfahren wird deutlich, dass diskursive Konsultationen zwar regelmäßig durchgeführt werden, vor allem in Kommunen mit Leitlinien sowie größeren Städten. Kritisch zu bewerten ist, dass die dabei eingesetzten Formate meist nur bestimmte Gruppen der Bevölkerung erreichen können und dass sich oft keine Angaben zu den Ergebnissen der Beteiligung auffinden lassen. Damit kommen die Potentiale diskursiver Bürger*innenbeteiligung bei der Bewältigung der kommunalen Verkehrswende bislang zu wenig zum Tragen.
Wesentliche Ergebnisse
Beteiligung an kommunalen Planungsverfahren mit Mobilitätsbezug ist keine Ausnahme mehr, aber auch noch nicht die Regel. Basierend auf den Daten unserer Stichprobe kann man davon ausgehen, dass es in den meisten Kommunen in Deutschland im betrachteten Zeitraum keine Möglichkeit gab, sich an solchen Verfahren zu beteiligen.
Generell beteiligten Städte mit Leitlinien ihre Bürger*innen häufiger, öfter und mit vielfältigeren Themen und Formaten. Mittel- und Großstädte beteiligten deutlich häufiger als Kleinstädte.
Bei den eingesetzten Beteiligungsformaten zeigen sich Schwächen: Der Großteil der Kommunen setzten auf selbst-selektierte Auswahlprozesse. Erste Versuche mit zielgruppenspezifischen Formaten oder vereinzelt auch Zufallsauswahl sind v.a. in den Kommunen mit Leitlinien und in den Stadtstaaten zu finden. Auch wurde ein großer Anteil der Verfahren rein online durchgeführt.
Für 5 bis 10% der Verfahren ließ sich kein aktueller Stand auffinden, für einen größeren Teil war unklar, was nach der Konsultation passierte. Dies trifft für alle Kommunen zu, wenn auch weniger stark auf solche mit Leitlinien und lässt sich als Mangel an Transparenz und Wirkung der Beteiligung werten.
Publikation
Mark, Laura; Holec, Katharina; Escher, Tobias (2024). Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei kommunalen Mobilitätsprojekten. Eine quantitative Erhebung konsultativer Beteiligungsverfahren in Deutschland. In: Raumforschung und Raumordnung: 1-16. DOI: 10.14512/rur.2239.
Datengrundlage
Die Datengrundlage, also die systematisch erhobene Zusammenstellung der Beteiligungsverfahren und deren Kodierung nach bestimmten Aspekten, findet sich zur Recherche und zum Download hier.
In diesem Artikel in der Zeitschrift Internationales Verkehrswesen stellen Laura Mark, Annika Busch-Geertsema, Jessica LeBris, Gesa Matthes und Kerstin Stark einen praxistauglichen Ansatz vor, um die Gerechtigkeit von Verkehrswend-Maßnahmen in verschiedenen Dimensionen zu überprüfen. Der Ansatz sowie der Artikel sind im Kontext des Arbeitskreises „Mobilität, Erreichbarkeit und soziale Teilhabe“ der Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) entstanden.
Zusammenfassung
Vorgestellt wird ein praxistaugliches Instrument, um einen systematischen „zweiten Blick“ auf Verkehrswende-Maßnahmen mit einer Brille der Gerechtigkeit werfen zu können. Es kann dabei sowohl für die konzeptionelle Unterstützung bei Planung und Umsetzung, zur Reflexion während oder nach des Prozesses sowie für ein fortlaufendes Monitoring genutzt werden.
Anhand von drei Gerechtigkeitsdimensionen kann überprüft werden, welche Bevölkerungsgruppen von der Maßnahmen profitieren. Als Dimensionen dienen dabei Verteilungsgerechtigkeit, Anerkennung verschiedener Lebensrealitäten und Verfahrensgerechtigkeit, die weiter ausdifferenziert und in einer einfach handhabbaren Matrix miteinander verschnitten wurden.
Um die Anerkennung verschiedener Lebensrealitäten auszudifferenzieren, wird mit dem Persona-Ansatz gearbeitet. In einer Persona sind bestimmte Eigenschaften kombiniert, die Mobilitätsoptionen und -entscheidungen sowie Aktivitätsketten beeinflussen und einschränken können. Im Artikel wird eine Systematik für die Entwicklung eigener Personas vorgeschlagen, für die Anwendung können aber auch die bereits von den Autorinnen entwickelten Personas genutzt werden.
Im Artikel wird der Ansatz der Gerechtigkeitsdimensionen und der Personas genauer vorgestellt. Er kann hier heruntergeladen werden.
Außerdem kann das Bewertungswerkzeug einschließlich einer Nutzungsanleitung und Vorschlägen für Personas im Excel-Format auf der Seite des AK Mobilität der ARL heruntergeladen werden (nach unten scrollen).
Die Autorinnen freuen sich über Rückmeldung und ermutigen zur freien Verwendung und Weiterentwicklung.
Publikation
Mark, Laura; Busch-Geertsema, Annika; LeBris, Jessica; Matthes, Gesa; Stark, Kerstin (2023): Ist das gerecht? Eine Bewertungshilfe für lokale Mobilitätsmaßnahmen. In: Internationales Verkehrswesen 75 (4), S. 28–31.
Im Rahmen seiner Masterarbeit im MA Informatik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat sich Boris Thome mit der Klassifikation von Beteiligungsbeiträgen nach den enthaltenen Themen beschäftigt. Diese Arbeit führt die Arbeit von Julia Romberg und Tobias Escher fort, indem eine feinere Einteilung der Beiträge nach Unterkategorien untersucht wurde.
Zusammenfassung
Politische Behörden in demokratischen Ländern konsultieren die Öffentlichkeit regelmäßig zu bestimmten Themen, doch die anschließende Auswertung der Beiträge erfordert erhebliche personelle Ressourcen, was häufig zu Ineffizienzen und Verzögerungen im Entscheidungsprozess führt. Eine der vorgeschlagenen Lösungen ist die Unterstützung der menschlichen Analyst*innen bei der thematische Gruppierung der Beiträge durch KI.
Überwachtes maschinelles Lernen (supervised machine learning) bietet sich für diese Aufgabe an, indem die Vorschläge der Bürger nach bestimmten vordefinierten Themen klassifiziert werden. Durch die individuelle Natur vieler öffentlicher Beteiligungsverfahren ist der manuelle Aufwand zur Erstellung der benötigten Trainingsdaten jedoch oft zu teuer. Eine mögliche Lösung, um die Menge der Trainingsdaten zu minimieren, ist der Einsatz von Active Learning. In unser vorherigen Arbeit konnten wir zeigen, dass Active Learning den manuellen Annotationsaufwand zur Kodierung von Oberkategorien erheblich reduzieren kann. In dieser Arbeit wurde nachfolgend untersucht, ob dieser Vorteil auch dann noch gegeben ist, wenn die Oberkategorien in weitere Unterkategorien unterteilt werden. Eine besondere Herausforderung besteht darin, dass einige der Unterkategorien sehr selten sein können und somit nur wenige Beiträge umfassen.
In der Evaluation verschiedener Methoden wurden Daten aus Online-Beteiligungsprozessen in drei deutschen Städten verwendet. Die Ergebnisse zeigen, dass die maschinelle Klassifikation von Unterkategorien deutlich schwerer ist als die Klassifikation der Oberkategorien. Dies liegt an der hohen Anzahl von möglichen Unterkategorien (30 im betrachteten Datensatz), die zusätzlich sehr ungleich verteilt sind. Im Fazit ist weitere Forschung erforderlich, um eine praxisgerechte Lösung für die flexible Zuordnung von Unterkategorien durch maschinelles Lernen zu finden.
Publikation
Thome, Boris (2022): Thematische Klassifikation von Partizipationsverfahren mit Active Learning. Masterarbeit am Institut für Informatik, Lehrstuhl für Datenbanken und Informationssysteme, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. (Download)
Im Rahmen ihrer Masterarbeit im MA Informatik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat sich Suzan Padjman mit der Klassifikation von Argumentationskomponenten in Beteiligungsbeiträgen beschäftigt. Diese Arbeit führt die bisherige Arbeit unseres Teams fort, indem Fälle betrachtet werden, in denen argumentative Sätze sowohl einen Vorschlag als auch eine Zustandsbeschreibung enthalten können.
Zusammenfassung
Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren ermöglichen es den Bürger*innen, sich an kommunalen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, indem sie ihre Meinung zu bestimmten Themen äußern. Kommunen haben jedoch oft nur begrenzte Ressourcen, um eine möglicherweise große Menge an Textbeiträgen zu analysieren, welche zeitnah und detailliert ausgewertet werden müssen. Eine automatisierte Unterstützung bei der Auswertung kann daher hilfreich sein, z.B. um Argumente zu analysieren.
Bei der Klassifikation von argumentativen Sätzen nach Typen (hier: Vorschlag oder Zustandsbeschreibung) kann es vorkommen, dass ein Satz mehrere Komponenten eines Arguments beinhaltet. In diesem Fall besteht die Notwendigkeit einer Multi-Label Klassifikation, bei der mehr als eine Kategorie zugeordnet werden kann.
Um dieses Problem zu lösen, wurden in der Arbeit verschiedene Methoden zur Multi-Label Klassifikation von Argumentationskomponenten verglichen (SVM, XGBoost, BERT und DistilBERT). Im Ergebnis zeigte sich, dass BERT-Modelle eine macro F1-Vorhersagegüte von bis zu 0,92 erreichen können. Dabei weisen die Modelle datensatzübergreifend eine robuste Performance auf – ein wichtiger Hinweis auf den praktischen Nutzen solcher Verfahren.
Publikation
Padjman, Suzan (2022): Mining Argument Components in Public Participation Processes. Masterarbeit am Institut für Informatik, Lehrstuhl für Datenbanken und Informationssysteme, der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. (Download)