Masterarbeit zu Schüler*innenpartizipation während der Corona-Pandemie

Im Rahmen ihrer Masterarbeit im MA Sozialwissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat sich Maria Antonia Dausner mit den Herausforderungen von Schüler*innenpartizipation während der Corona-Pandemie beschäftigt, und dabei ausgewählte Grundschulen in NRW in den Blick genommen.

Zusammenfassung

Partizipation von Schüler:innen ist sowohl rechtlich in der UN-Kinderrechtekonvention verankert als auch aus demokratiepädagogischen und entwicklungspsychologischen Gründen von Bedeutung. In der Schule gibt es jedoch vielfältige Herausforderungen und Risiken, die diese im Alltag erschweren und dazu führen, dass Schüler:innenpartizipation oft nicht umfänglich gewährleistet wird. Während der Covid-19 Pandemie und den damit verbundene Schulschließungen wurde der Schulalltag unterbrochen und kollektive Lernprozesse konnten nicht stattfinden. Mit Bezug auf den komplexen Charakter von Schüler:innenpartizipation stellt sich daher die Frage, welche Folge die Herausforderungen im Rahmen der Schulschließungen und dem Online-Unterricht für Schüler:innenpartizipation haben. Es ist davon auszugehen, dass Schüler:innenpartizipation nicht in demselben Umfang weitergeführt wurde. Daher ist insbesondere von Interesse, welche Beispiele guter Schüler:innenpartizipation es gibt und wie diese aussehen können. Dazu wird folgende konkrete Forschungsfrage gestellt: Wie konnte gute Schüler:innenpartizipation während den Covid-19 bedingten Schulschließungen aussehen?

Um diese Frage zu beantworten, wurden qualitative leitfadengestützte Interviews an drei Grundschulen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Diese Schulen wurden ausgewählt, da aufgrund ihrer Teilnahme am Landesprogramm-Kinderrechteschulen davon auszugehen ist, dass Schüler:innenpartizipation ein großer Stellenwert beigemessen wird. Es wurden insgesamt sechs Interviews mit der Schulleitung und Lehrkräften sowie Schüler:innen geführt, die nach dem Vorgehen der qualitativen Inhaltsanalyse von Mayring ausgewertet werden.

Anhand verschiedener Dimensionen von Partizipation zeigte sich, dass weniger Partizipationsformate weitergeführt wurden, Partizipation weniger intensiv war und Schüler:innen bei weniger Themen mitbestimmen konnten. Bei der Frage, was rückblickend hätte anders gemacht werden können, wurde gesagt, dass es kaum Verbesserungsvorschläge gibt und nichts anders gemacht worden wäre. Daran wird die Diskrepanz zwischen theoretischer Relevanz und praktischer Umsetzung deutlich und stellt insbesondere die Bedeutung von Schüler:innenpartizipation in Frage. Zudem zeigte sich, dass Schüler:innenpartizipation abhängig von dem Willen der Erwachsenen ist, diese zu ermöglichen und umfänglich umzusetzen. Eine konkrete Möglichkeit, Schüler:innenpartizipation weiterzuführen, stellte einen Wechsel in den digitalen Raum und das Nutzen von Lernplattformen sowie Videokonferenzen dar. Hier eröffnete sich ein neues Potential für Schüler:innenpartizipation, welches es zukünftig auszuschöpfen gilt. Trotz der Herausforderungen wurden teilweise auch in informellen Formaten Partizipationsmöglichkeiten für Schüler:innen geschaffen. Diese ermöglichten Raum für Austausch und Zusammenkommen, was vor dem veränderten (Schul-)Alltag der Schüler:innen von besonderer Bedeutung ist.

Publikation

Dausner, Maria Antonia (2022): Möglichkeiten von Schüler:innenpartizipation während den Covid-19 bedingten Schulschließungen – eine Analyse am
Beispiel von Grundschulen in Nordrhein-Westfalen. Arbeit zur Erlangung des M.A. Sozialwissenschaften am Institut für Sozialwissenschaften der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. (Download)

Übersicht über Ansätze computerbasierter Textanalyse zur Unterstützung der Auswertung von Beiträgen aus Öffentlichkeitsbeteiligungen

In diesem Artikel in der Zeitschrift Digital Government: Research and Practice geben Julia Romberg und Tobias Escher einen Überblick über automatisierte Techniken die bereits zur Unterstützung der Auswertung von Beiträgen in Beteiligungsprozessen verwendet wurden. Auf Basis einer systematischen Literaturstudie bewerten sie die Leistungsfähigkeit der bisher eingesetzten Verfahren und zeigen weiteren Forschungsbedarf auf.

Zusammenfassung

Öffentliche Institutionen, die Bürger*innen im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse konsultieren, stehen vor der Herausforderung, die Beiträge der Bürger*innen auszuwerten. Unter demokratischen Aspekten ist diese Auswertung von wesentlicher Bedeutung, benötigt gleichzeitig aber umfangreiche personelle Ressourcen. Eine bislang noch zu wenig erforschte Lösung für dieses Problem bietet die Nutzung von künstlicher Intelligenz, wie beispielsweise computer-unterstützter Textanalyse. Wir identifizieren drei generische Aufgaben im Auswertungsprozess, die von der automatisierten Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) profitieren könnten. Auf Basis einer systematischen Literaturrecherche in zwei Datenbanken zu Computerlinguistik und Digital Government geben wir einen detaillierten Überblick über die existierenden Ansätze und deren Leistungsfähigkeit. Auch wenn teilweise vielversprechende Ansätze existieren, beispielsweise um Beiträge thematisch zu gruppieren oder zur Erkennung von Argumenten und Meinungen, so zeigen wir, dass noch bedeutende Herausforderungen bestehen, bevor diese in der Praxis zuverlässig zur Unterstützung eingesetzt werden können. Zu diesen Herausforderungen zählt die Qualität der Ergebnisse, die Anwendbarkeit auf nicht-englischsprachige Korpora und die Bereitstellung von Software, die diese Algorithmen auch Praktikter*innen zugänglich macht. Wir diskutieren verschiedene Ansätze zur weiteren Forschung, die zu solchen praxistauglichen Anwendungen führen könnten. Die vielversprechendsten Ansätze integrieren die Expertise menschlicher Analyst*innen, zum Beispiel durch Ansätze des Active Learning oder interaktiver Topic Models.

Ergebnisse

  • Es gibt eine Reihe von Aufgaben im Auswertungsprozess, die durch die automatisierte Verarbeitung natürlicher Sprache (NLP) unterstützt werden könnten. Dazu gehören i) die Erkennung von Duplikaten, ii) die thematische Gruppierung von Beiträgen, und iii) die detaillierte Analyse einzelner Beiträge. Der Großteil der Literatur in dieser Literaturstudie konzentriert sich auf die automatisierte Erkennung und Analyse von Argumenten, einen Aspekt der detaillierten Analyse einzelner Beiträge.
  • Wir stellen eine umfangreiche Zusammenfassung der genutzten Datensätze und der verwendeten Algorithmen vor, und bewerten deren Leistungsfähigkeit. Trotz der ermutigenden Ergebnisse wurde die deutlichen Entwicklungssprünge, in den letzten Jahren im NLP-Bereich erfolgt sind, bislang kaum für diesen Anwendungsfall genutzt.
  • Eine besondere auffällige Lücke besteht in der mangelnden Verfügbarkeit von Anwendungen, die Praktiker*innen die einfache Nutzung von NLP-basierten Verfahren für die Auswertung ihrer Daten erlauben würden.
  • Der Aufwand zur Erstellung von annotierten Daten, die zum Training von Modellen des maschinellen Lernens notwendig sind, kann dazu führen, dass sich die erhofften Effizienzvorteile einer automatisierten Auswertung nicht einstellen.
  • Wir empfehlen verschiedene vielversprechendsten Ansätze zur weiteren Forschung. Viele davon integrieren die Expertise menschlicher Analyst*innen, zum Beispiel durch Ansätze des Active Learning oder interaktiver Topic Models.

Publikation

Romberg, Julia; Escher, Tobias (2023). Making Sense of Citizens’ Input through Artificial Intelligence: A Review of Methods for Computational Text Analysis to Support the Evaluation of Contributions in Public Participation. In: Digital Government: Research and Practice 5(1): 1-30. DOI: 10.1145/3603254.

Gutachten: Forschungsstand zu Möglichkeiten, Herausforderungen und Grenzen digitaler Beteiligung

Im Rahmen des Standortauswahlgesetzes (StandAG) ist das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) mit der umfassenden Information und Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen des Standortauswahlverfahrens zur Suche und Auswahl eines Standortes für die Endlagerung von hochradioaktiven Abfällen beauftragt. In diesem Zusammenhang hat das BASE im Februar 2022 ein Gutachten zu den „Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beteiligungsinstrumente für die Beteiligung der Öffentlichkeit im Standortauswahlverfahren (DigiBeSt)“ beim Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie (DIID) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in Kooperation mit dem nexus-Institut Berlin beauftragt. Dafür wurde unter der Leitung von Tobias Escher eine Aufarbeitung des Forschungsstandes und der aktuellen Entwicklungen (Arbeitspaket 2) erstellt, die in einem ausführlichen Bericht zusammengefasst wurden.

Ausgewählte Erkenntnisse aus dem Bericht lauten:

  • Soziale Ungleichheiten in der digitalen Beteiligung beruhen v. a. auf dem
    Second-Level Digital Divide, d.h. in Unterschieden in den medien- und inhaltsbezogenen Kompetenzen, die für die selbstständige und konstruktive Nutzung des Internets zur politischen Beteiligung notwendig sind.
  • Das Wissen zu Effektivität von Aktivierungsfaktoren ist nach wie vor oft lückenhaft und anekdotisch, dadurch sind Kosten und Nutzen einzelner Maßnahmen für die Initiator*innen häufig nur schwer abzuschätzen.
  • Zur (zielgruppengerechten) Mobilisierung eignet sich nachweislich die persönliche Einladung, aber auch die etablierten Massenmedien spielen nach wie vor eine wichtige Rolle.
  • Breite und inklusive Beteiligung erfordert die Kombination unterschiedlicher digitaler und analoger Partizipationsformate.
  • Beteiligungsformate auf nationale Ebene stehen aufgrund der Komplexität der Themen und der Größe der Zielgruppe vor besonderen Herausforderungen und erfordern daher kaskadierte Verfahren (Verzahnung von Beteiligung auf unterschiedlichen politischen Ebenen) sowie noch neu zu schaffende Institutionen.

Publikation

Lütters, Stefanie; Escher, Tobias; Soßdorf, Anna; Gerl, Katharina; Haas, Claudia; Bosch, Claudia (2024): Möglichkeiten und Grenzen digitaler Beteiligungsinstrumente für die Beteiligung der Öffentlichkeit im Standortauswahlverfahren (DigiBeSt). Hg. v. Düsseldorfer Institut für Internet und Demokratie und nexus Institut. Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Berlin (BASE-RESFOR 026/24). Online verfügbar unter https://www.base.bund.de/DE/themen/fa/sozio/projekte-ende/projekte-ende.html .

Subjektives Machine Lerning am Beispiel der Konkretheit von Argumenten in der Öffentlichkeitsbeteiligung

In dieser Veröffentlichung im Workshop on Argument Mining entwickelt Julia Romberg eine Methode, um menschlichen Perspektivismus in die maschinelle Vorhersage einzubeziehen. Die Methode wird an der Aufgabe der Konkretheit von Argumenten in Beiträgen zur Bürger*innenbeteiligung getestet.

Zusammenfassung

Obwohl Argumentation sehr subjektiv sein kann, besteht die gängige Praxis beim überwachten maschinellen Lernen (supervised machine learning) darin, eine aggregierte Grundwahrheit zu konstruieren und daraus zu lernen. Dieser Ansatz führt zu einer Vernachlässigung individueller, aber potenziell wichtiger Perspektiven und kann in vielen Fällen dem subjektiven Charakter der Aufgaben nicht gerecht werden. Eine Lösung für dieses Manko sind multiperspektivische Ansätze, die im Bereich des Argument Mining bisher nur wenig Beachtung gefunden haben.

In dieser Arbeit stellen wir PerspectifyMe vor, eine Methode zur Integration von Perspektivismus durch Anreicherung einer Aufgabe mit Subjektivitätsinformationen aus dem Datenannotationsprozess. Wir veranschaulichen unseren Ansatz anhand des Anwendungsfalls der Klassifizikation der Konkretheit von Argumenten und liefern erste vielversprechende Ergebnisse auf dem kürzlich veröffentlichten CIMT PartEval Argument Concreteness Corpus.

Ergebnisse

  • Beim maschinellen Lernen wird oft von einer einzigen Grundwahrheit ausgegangen, was aber für subjektive Aufgaben nicht zutrifft.
  • PerspectifyMe ist eine einfache Methode, um den Perspektivismus in bestehende maschinelle Lernprozesse einzubinden, indem ein aggregiertes Label durch eine Subjektivitätsbewertung ergänzt wird.
  • Ein Beispiel für eine subjektive Aufgabe ist die Einstufung der Konkretheit eines Arguments (gering, mittel, hoch). Die Automatisierung dieser Aufgabe ist auch von Interesse für die Auswertung von Bürger*innenbeteiligungsverfahren.
  • Erste Ansätze zur Klassifikation der Konkretheit von Argumenten (aggregiertes Label) zeigen eine Accuracy von 0,80 und einen F1-Wert von 0,67.
  • Ob die Konkretheit eines Arguments eine subjektive Wahrnehmung triggert, kann mit einer Accuracy von 0,72 bzw. einem F1-Wert von 0,74 vorhergesagt werden.

Publikation

Romberg, Julia (2022). Is Your Perspective Also My Perspective? Enriching Prediction with Subjectivity. In: Proceedings of the 9th Workshop on Argument Mining: 115-125, Gyeongju, Republic of Korea. Association for Computational Linguistics. https://aclanthology.org/2022.argmining-1.11.

Automatisierte thematische Kategorisierung von Bürger*innenbeiträgen: Reduzierung des manuellen Annotationsaufwands durch Active Learning

In dieser Veröffentlichung in Electronic Government untersuchen Julia Romberg und Tobias Escher das Potenzial von Active Learning, um den manuellen Annotationsaufwand bei der thematischen Kategorisierung von Bürger*innenbeteiligungsbeiträgen zu reduzieren.

Zusammenfassung

Politische Behörden in demokratischen Ländern konsultieren die Öffentlichkeit regelmäßig zu bestimmten Themen, doch die anschließende Auswertung der Beiträge erfordert erhebliche personelle Ressourcen, was häufig zu Ineffizienzen und Verzögerungen im Entscheidungsprozess führt. Eine der vorgeschlagenen Lösungen ist die Unterstützung der menschlichen Analyst*innen bei der thematische Gruppierung der Beiträge durch KI.

Überwachtes maschinelles Lernen (supervised machine learning) bietet sich für diese Aufgabe an, indem die Vorschläge der Bürger nach bestimmten vordefinierten Themen klassifiziert werden. Durch die individuelle Natur vieler öffentlicher Beteiligungsverfahren ist der manuelle Aufwand zur Erstellung der benötigten Trainingsdaten jedoch oft zu teuer. Eine mögliche Lösung, um die Menge der Trainingsdaten zu minimieren, ist der Einsatz von Active Learning. Während sich dieses halbüberwachte Verfahren in den letzten Jahren stark verbreitet hat, wurden diese neuen vielversprechenden Ansätze nicht für die Auswertung von Beteiligungsbeiträgen angewendet.

Daher verwenden wir Daten aus Online-Beteiligungsprozessen in drei deutschen Städten, stellen zunächst Baselines für die Klassifikation auf und bewerten anschließend, wie verschiedene Strategien des Active Learnings den manuellen Annotationsaufwand reduzieren und gleichzeitig eine gute Modellleistung beibehalten können. Unsere Ergebnisse zeigen nicht nur, dass Modelle des überwachten maschinellen Lernens die Beiträge zur Bürger*innenbeteiligung zuverlässig thematisch kategorisieren können, sondern auch, dass Active Learning die Menge der benötigten Trainingsdaten deutlich reduziert. Dies hat wichtige Implikationen für die Praxis der Öffentlichkeitsbeteiligung, da es den Zeitaufwand für die Auswertung drastisch reduziert, wovon insbesondere Prozesse mit einer größeren Anzahl von Beiträgen profitieren können.

Ergebnisse

  • Wir vergleichen verschiedene moderne Ansätze zur Textklassifikation und zum Active Learning anhand einer Fallstudie von drei Beteiligungsprozessen zur Radverkehrsplanung in den deutschen Kommunen Bonn, Köln Ehrenfeld und Moers.
  • Das Modell BERT kann in etwa 77 % der Fälle die richtigen Themen vorhersagen.
  • Active Learning reduziert den manuellen Annotationsaufwand erheblich: Es reichte aus, 20 bis 50 % der Datensätze manuell zu kategorisieren, um die Genauigkeit von 77% zu halten. Die Effizienzgewinne wachsen mit der Größe des Datensatzes.
  • Zugleich arbeiten die Modelle mit einer effizienten Laufzeit.
  • Unsere Hypothese ist daher, dass Active Learning in den meisten Anwendungsfällen den menschlichen Aufwand erheblich reduzieren sollte.

Publikation

Romberg, Julia; Escher, Tobias (2022). Automated Topic Categorisation of Citizens’ Contributions: Reducing Manual Labelling Efforts Through Active Learning. In: Marijn Janssen, et al (Hrsg.), Electronic Government. EGOV 2022. Lecture Notes in Computer Science: 369-385, Springer, Cham. ISBN 978-3-031-15086-9.

Datenkorpus zur Unterstützung der Evaluation von Partizipation in der Verkehrsplanung durch multidimensionale Klassifikation

In dieser Veröffentlichung der Conference on Language Resources and Evaluation stellen Julia Romberg, Laura Mark und Tobias Escher eine Sammlung von annotierten Datensätzen vor, die die Entwicklung von Ansätzen des maschinellen Lernens zur Unterstützung der Auswertung von Beteiligungsbeiträgen fördert.

Zusammenfassung

Behörden in demokratischen Ländern konsultieren regelmäßig die Öffentlichkeit, um den Bürger*innen die Möglichkeit zu geben, ihre Ideen und Bedenken zu bestimmten Themen zu äußern. Bei dem Versuch, die (oft zahlreichen) Beiträge der Öffentlichkeit auszuwerten, um sie in die Entscheidungsfindung einfließen zu lassen, stehen die Behörden aufgrund begrenzter Ressourcen dabei oft vor Herausforderungen.

Wir identifizieren mehrere Aufgaben, deren automatisierte Unterstützung bei der Auswertung von Bürger*innenbeteiligung helfen kann. Dies sind i) die Erkennung von Argumenten, genauer gesagt von Prämissen und deren Schlussfolgerungen, ii) die Bewertung der Konkretheit von Argumenten, iii) die Erkennung von textlichen Beschreibungen von Orten, um die Ideen der Bürger*innen räumlich verorten zu können, und iv) die thematische Kategorisierung von Beiträgen. Um in zukünftiger Forschung Techniken entwickeln zu können, die diese vier Aufgaben adressieren, veröffentlichen wir den CIMT PartEval Corpus. Dieser neue und öffentlich verfügbare deutschsprachigen Korpus enthält mehrere tausend Bürgerbeiträge aus sechs mobilitätsbezogenen Planungsprozessen in fünf deutschen Kommunen. Er bietet Annotationen für jede dieser Aufgaben, die in deutscher Sprache für den Bereich der Bürgerbeteiligung bisher entweder überhaupt noch nicht oder nicht in dieser Größe und Vielfalt verfügbar waren.

Ergebnisse

  • Der CIMT PartEval Argument Component Corpus umfasst 17.852 Sätze aus deutschen Bürgerbeteiligungsverfahren, die als nicht-argumentativ, Prämisse (premise) oder Schlussfolgerung (major position) annotiert sind.
  • Der CIMT PartEval Argument Concreteness Corpus besteht aus 1.127 argumentativen Textabschnitten, die nach drei Konkretheitsstufen annotiert sind: niedrig, mittel und hoch.
  • The CIMT PartEval Geographic Location Corpus provides 4,830 location phrases and the GPS coordinates for 2,529 public participation contributions.
  • Der CIMT PartEval Thematic Categorization Corpus basiert auf einem neuen hierarchischen Kategorisierungsschema für Mobilität, das Verkehrsarten (nicht-motorisierter Verkehr: Fahrrad, zu Fuß, Roller; motorisierter Verkehr: öffentlicher Nahverkehr, öffentlicher Fernverkehr, kommerzieller Verkehr) und einer Reihe von Spezifikationen wie fließender oder ruhender Verkehr, neue Dienstleistungen sowie Inter- und Multimodalität erfasst. Insgesamt wurden 697 Dokumente nach diesem Schema annotiert.

Publikation

Romberg, Julia; Mark, Laura; Escher, Tobias (2022). A Corpus of German Citizen Contributions in Mobility Planning: Supporting Evaluation Through Multidimensional Classification. In: Proceedings of the Language Resources and Evaluation Conference: 2874–2883, Marseille, France. European Language Resources Association. https://aclanthology.org/2022.lrec-1.308.

Korpus verfügbar unter

https://github.com/juliaromberg/cimt-argument-mining-dataset

https://github.com/juliaromberg/cimt-argument-concreteness-dataset

https://github.com/juliaromberg/cimt-geographic-location-dataset

https://github.com/juliaromberg/cimt-thematic-categorization-dataset

Robuste Klassifikation von Argumentationskomponenten in Bürger*innenbeteiligungsverfahren zur Verkehrsplanung

In dieser Veröffentlichung des Workshop on Argument Mining befassen sich Julia Romberg und Stefan Conrad mit der Robustheit von Klassifikationsalgorithmen für Argument Mining, um zuverlässige Modelle zu erstellen, die über verschiedene Datensätze hinweg generalisieren.

Zusammenfassung

Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren ermöglichen es den Bürger*innen, sich an kommunalen Entscheidungsprozessen zu beteiligen, indem sie ihre Meinung zu bestimmten Themen äußern. Kommunen haben jedoch oft nur begrenzte Ressourcen, um eine möglicherweise große Menge an Textbeiträgen zu analysieren, welche zeitnah und detailliert ausgewertet werden müssen. Eine automatisierte Unterstützung bei der Auswertung kann daher hilfreich sein, z.B. um Argumente zu analysieren.

In diesem Paper befassen wir uns (A) mit der Identifizierung von argumentativen Diskurseinheiten und (B) mit deren Klassifizierung als Prämisse (premise) oder Schlussfolgerung (major position) in deutschen Bürger*innenbeteiligungsprozessen. Das Ziel unserer Arbeit ist es, Argument Mining für den Einsatz in Kommunen nutzbar zu machen. Wir vergleichen verschiedene Argument-Mining-Ansätze und entwickeln ein generisches Modell, das erfolgreich Argumentstrukturen in verschiedenen Datensätzen der verkehrsbezogenen Stadtplanung erkennen kann. Wir führen einen neuen Datenkorpus ein, der fünf Beteiligungsprozesse umfasst. In unserer Evaluierung erreichen wir hohe Makro-F1-Werte (0,76 – 0,80 für die Identifizierung argumentativer Einheiten; 0,86 – 0,93 für deren Klassifizierung). Darüber hinaus verbessern wir frühere Ergebnisse für die Klassifizierung von argumentativen Einheiten in einem ähnlichen deutschen Online-Partizipationsdatensatz.

Ergebnisse

  • Wir haben eine umfassende Evaluierung von Methoden des maschinellen Lernens in fünf Bürger*innenbeteiligungsverfahren in deutschen Kommunen durchgeführt, die sich in Format (Online-Beteiligungsplattformen und Fragebögen) und Prozessgegenstand unterscheiden.
  • BERT übertrifft bei beiden Aufgaben bisher veröffentlichte Argument-Mining-Ansätze für öffentliche Beteiligungsprozesse auf deutschsprachigen Daten und erreicht Makro-F1 Werte von 0,76 – 0,80 für die Identifizierung argumentativer Einheiten und Makro-F1 Werte von 0,86 – 0,93 für deren Klassifikation.
  • In einer datensatzübergreifenden Evaluierung können BERT-Modelle Argumentstrukturen in Datensätzen, die nicht Teil des Trainings waren, mit vergleichbarer Güte erkennen.
  • Eine solche Robustheit des Modells über verschiedene Beteiligungsprozesse hinweg ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur praktischen Anwendung des Argument Mining in Kommunen.

Publikation

Romberg, Julia; Conrad, Stefan (2021). Citizen Involvement in Urban Planning – How Can Municipalities Be Supported in Evaluating Public Participation Processes for Mobility Transitions?. In: Proceedings of the 8th Workshop on Argument Mining: 89-99, Punta Cana, Dominican Republic. Association for Computational Linguistics. https://aclanthology.org/2021.argmining-1.9.

Auswertung des ersten Praxisworkshops der Nachwuchsforschungsgruppe CIMT

Als transdisziplinäres Forschungsprojekt möchten wir in regelmäßigen Abständen Vertreter*innen aus der Praxis der kommunalen Bürgerbeteiligung zu Workshops einladen, um mit Ihnen konkrete Fragestellungen im Zusammenhang mit unserer Forschung zu diskutieren. Im Mittelpunkt unseres ersten Praxisworkshops im Sommer 2020 stand die Frage, wie die Auswertung von Beiträgen technisch unterstützt werden kann und welche Anforderungen Praktiker*innen an eine Softwarelösung zur (teil-)automatisierten Unterstützung der Auswertung von Bürger*innenbeteiligung haben.

Bei kommunalen Beteiligungsverfahren geben Bürger*innen Vorschläge und Meinungen zu vorgegebenen Fragen ab. Damit diese in die weitere Planung einfließen können, müssen die Beiträge von den zuständigen Verwaltungen oder entsprechend beauftragten Dienstleister*innen ausgewertet werden. Gerade bei Partizipationsverfahren mit hoher Beteiligung kann die Auswertung ein hohes Maß an Ressourcen binden.

Im Ergebnis wird deutlich, dass es einen tatsächlichen Bedarf nach IT-Unterstützung bei der Auswertung gibt, da diese bislang in der Regel noch vorwiegend händisch erfolgt und entsprechend zeitaufwendig ist. Zu diesen Anforderungen gehört vor allem die Möglichkeit, Beiträge thematisch nach inhaltlichen Aspekten zu gruppieren. Weiterhin besteht Bedarf zur Unterstützung bei der Erkennung von Duplikaten und der Identifikation und Bewertung von konkreten Maßnahmen aus den Beiträgen. Dabei lauten zwei wesentliche Anforderungen, dass alle Beiträge gleichberechtigt berücksichtigt werden und dass automatisiert getroffene Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind.

Zusätzlich wurde durch den aktuellen Anlass im Rahmen des Praxisworkshops eine Befragung nach dem Einfluss der Covid-19-Pandemie auf die Arbeit mit Bürger*innenbeteiligung durchgeführt. Zusammenfassend zeigt sich eine hohe Verunsicherung, wie Bürger*innenbeteiligung während der Pandemie gut umgesetzt werden kann, sowie eine hohe Diskrepanz zwischen den verschiedenen Beteiligungsformaten. Während die Online-Beteiligung als kontaktloses Medium von der Lage profitieren kann, ist die Vor-Ort-Beteiligung stark betroffen.

Der ausführliche Bericht ist als Working Paper verfügbar.